Einzelne Erfolge – dennoch guter Umweltzustand der deutschen Nord- und Ostsee noch nicht erreicht: Aktuelle Bewertung zeigt weiteren dringenden Handlungsbedarf

Die Ergebnisse einer umfangreichen Zustandsbewertung im Rahmen der Umsetzung der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) zeigen, dass sich die deutschen Nord- und Ostseegewässer in keinem guten Umweltzustand befinden. Die hohen Belastungen durch menschliche Aktivitäten haben im Bewertungszeitraum 2016-2021 insgesamt nicht ausreichend abgenommen, und der Zustand der marinen biologischen Vielfalt und der Meeresökosysteme hat sich nur wenig verbessert.

Die Nährstoffeinträge deutscher Flüsse in Nord- und Ostsee sind überwiegend rückläufig. In der Nordsee erreichen die meisten Flüsse die Eintragsziele für Phosphor, nicht jedoch in der Ostsee. Stickstoffeinträge ins Meer verfehlen umfassend ihre Zielwerte. Zu hohe Nährstoffmengen führen weiterhin dazu, dass große Teile der deutschen Nord- und Ostseegewässer von Algenblüten und Sauerstoffmangel betroffen sind, auch wenn erste Verbesserungen diesbezüglich erkennbar werden.

Schadstoffe, die in erhöhten Konzentrationen in Wasser, Sedimenten und Meereslebewesen auftreten und sich nicht oder nur langsam abbauen, können zu schädlichen Effekten führen. Noch immer ist Meeresmüll weit verbreitet, jedoch inzwischen mit gegensätzlichen Trends: während die Müllfunde an Stränden und in Mägen von Eissturmvögeln abnahmen, nahmen die Müllfunde am Meeresboden deutlich zu.

Die Belastung durch Unterwasserlärm ist, bedingt durch den Ausbau der Offshore-Windenergie, welche einen wichtigen Baustein im Klimaschutz liefert, angestiegen, während die Eintragsrate von nicht-einheimischen Arten, z. B. über die Schifffahrt, in unsere Meeresgewässer rückläufig ist, wenn auch immer noch zu hoch.

Fischerei hat, sofern sie nicht nachhaltig durchgeführt wird, einen negativen Einfluss auf die Fischbestände und Nahrungsnetze, und in zunehmendem Maß haben auch andere Faktoren wie der Klimawandel erhebliche Auswirkungen auf die Bestände. Von den in deutschen Nordseegewässern kommerziell befischten Beständen erreichen acht Bestände den guten Zustand, sechs erreichen ihn nicht. Von den in deutschen Ostseegewässern kommerziell befischten Beständen erreichte nur ein Bestand den guten Zustand. Allerdings reichten hier die Untersuchungen nur für die Bewertung von insgesamt neun kommerziell befischten Beständen.

Insgesamt sind die Meereslebensräume weiterhin zu hohen Belastungen ausgesetzt, und auch der Klimawandel hat zunehmende und weitreichende Auswirkungen auf die deutschen Meeresgewässer. Keiner der Lebensräume im Freiwasser und am Meeresboden, von den Schlickböden bis zu den Riffen, befindet sich in einem guten Umweltzustand. Auch ist eine Vielzahl der Arten im Meer bedroht. Viele Fischbestände, See- und Küstenvögel, Schweinswale, Kegelrobben und Seehunde erreichen keinen guten Zustand, auch wenn insbesondere für die Robben Verbesserungen zu verzeichnen sind. Die hohen Belastungen und der schlechte Zustand der Lebensräume und Arten führen dazu, dass die Struktur und Funktion der Nahrungsnetze und Ökosysteme insgesamt beeinträchtigt sind.

Die deutschen Nord- und Ostseegewässer sind einzigartige Ökosysteme, zugleich aber auch wichtige seit Jahrhunderten stark genutzte Wirtschaftsräume. Menschliche Aktivitäten in den Meeren, wie z.B. Schifffahrt, Tourismus, Fischerei oder Offshore-Windenergie bedeuten fortwährende bzw. auch z.T. neue Herausforderungen für den Meeresumweltschutz.

Um den guten Zustand der Meere zu erreichen, d.h. die biologische Vielfalt der Nord- und Ostsee wiederherzustellen und zu bewahren und vielfältige und dynamische Meere zu haben, die sauber, gesund und produktiv sind, bedarf es fortgesetzter Anstrengungen und effektiver Maßnahmen. Dies muss sowohl national als auch im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere über die regionalen Meeresschutzübereinkommen OSPAR und HELCOM, und mit der EU erfolgen.

Detaillierte Fachinformationen/Hintergrundinformationen

Die aktuellen Ergebnisse einer umfangreichen Zustandsbewertung im Rahmen der Umsetzung der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) zeigen, dass sich die deutschen Nord- und Ostseegewässer weiterhin in keinem guten Umweltzustand befinden. Die zu hohen Belastungen durch menschliche Aktivitäten haben in den letzten Jahren nicht ausreichend abgenommen und der Zustand der marinen biologischen Vielfalt und der Meeresökosysteme hat sich nur wenig verbessert. Die Nord- und Ostsee werden weiträumig u.a. durch übermäßigen Nährstoffeintrag, Schadstoffe, Müll und Unterwasserlärm sowie nicht-einheimische Arten, nicht nachhaltigen Fischfang und zunehmend auch durch neue Nutzungen sowie den Klimawandel belastet. Die gesetzten Ziele sind anspruchsvoll und ihre Erreichung wird Jahre bis Jahrzehnte benötigen, da sich Nord- und Ostsee auch dort, wo die Belastungen zurückgehen, nur langsam erholen.

Die Nährstoffeinträge in die deutschen Nord- und Ostseegewässer nehmen grundsätzlich ab. Die Reduktionsziele im Rahmen der Luftreinhaltepolitik wurden erreicht, aber die Einträge über viele Flüsse, auch aus anderen Anrainerstaaten, sind weiterhin zu hoch. Große Teile der deutschen Nord- und Ostsee sind deshalb und weil sie vorbelastet sind, weiterhin eutrophiert und von Algenblüten und Sauerstoffmangel betroffen, auch wenn erste Verbesserungen des Zustands erkennbar sind. Die flächendeckende Schadstoffbelastung geht insbesondere auf die Anreicherung von Quecksilber und PBDE (Flammschutzmittel) zurück. Auch viele weitere Stoffe sind in erhöhten Konzentrationen in Wasser, Sediment und Meereslebewesen nachzuweisen, und schädliche Effekte auf Organismen sind nicht auszuschließen. Viele dieser anorganischen und organischen Schadstoffe bauen sich nicht oder nur sehr langsam in der Meeresumwelt ab und werden weiter eingetragen, weshalb sich die erhöhten Konzentrationen in den Sedimenten und den Meeresorganismen nur langsam verringern. Eine Schadstoffanreicherung in der Nahrungskette ist weiterhin festzustellen. Müll ist an den Stränden, in der Wassersäule und am Meeresboden der Nord- und Ostseegewässer allgegenwärtig. Obgleich die Müllfunde an Stränden und in Mägen von Eissturmvögeln signifikant abgenommen haben, nehmen sie am Meeresboden deutlich zu.

Die genannten stofflichen Belastungen werden durch zahlreiche weitere Probleme verstärkt. Durch den Ausbau der Offshore-Windenergie ist die räumliche und zeitliche Belastung durch Unterwasserlärm infolge von Rammarbeiten und baubezogenem Schiffsverkehr angestiegen. Stetig werden neue nicht-einheimische Arten v.a. über die Schifffahrt in unsere Meeresgewässer eingetragen, auch wenn die Zahlen rückläufig sind. Im Zeitraum 2016 - 2021 wurden 9 (Ostsee) bzw. 12 solcher Arten (Nordsee) festgestellt. Die nicht nachhaltige Fischerei hat einen negativen Einfluss auf die Fischbestände und Nahrungsnetze, und in zunehmendem Maß hat auch der Klimawandel weitreichende Auswirkungen auf die deutschen Meeresgewässer. Neben der zu erwartenden Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs wurden in den letzten Jahren wiederholt Höchstwerte der mittleren Jahrestemperaturen an der Wasseroberfläche der Nord- und Ostsee erreicht.

Die Ergebnisse zeigen, dass die erfassten Meereslebensräume weiterhin zu hohen Belastungen ausgesetzt sind. Keiner der Lebensräume am Meeresboden, von den Schlickböden bis zu den Riffen, befindet sich in einem guten Zustand. Neben den genannten Belastungen treten weiträumige Störungen durch Fischerei mit Grundschleppnetzen und lokal durch u.a. Ausbau der Offshore Windenergie, Sand- und Kiesentnahme sowie Baggerungen in den Fahrrinnen auf. Auch die Freiwasser-Lebensräume (Pelagial) sind aufgrund der jahrzehntelangen zu hohen Nährstoffeinträge und des voranschreitenden Klimawandels nicht in einem guten Umweltzustand. Die gesamte Wassersäule oberhalb des Meeresbodens bildet den Lebensraum für marine Säugetiere, bestimmte Fischarten, aber auch das Plankton, dessen pflanzliche Vertreter als Primärproduzenten die Grundlage der marinen Nahrungsnetze bilden. Dies alles führt insgesamt dazu, dass die Struktur und Funktion der Nahrungsnetze und Ökosysteme nicht in einem guten Zustand sind.

Resultierend aus den hohen Belastungen und dem schlechten Zustand der Lebensräume ist eine Vielzahl der Arten im Meer bedroht. So sind viele Fischbestände in keinem guten Zustand; maßgebliche Ursachen sind je nach Bestand eine nicht nachhaltige Fischerei, Eutrophierung, Wanderbarrieren und Habitatveränderungen. Besonders betroffen sind Arten, die während ihres Lebenszyklus‘ zwischen Süß- und Salzwasser wandern (z.B. Stör, Aal und Lachs). In der Ostsee befinden sich darüber hinaus v.a. Fischbestände, die von großer ökosystemarer und kommerzieller Bedeutung sind – wie z.B. Dorsch, Sprotte und Hering – in keinem guten Zustand. In der Nordsee betrifft es auch langlebige, langsam wachsende und große Arten wie Haie und Rochen. Bei den See- und Küstenvögeln sind zusätzliche Beeinträchtigungen ihrer Lebensräume durch menschliche Nutzungen (z.B. Offshore-Windparks, Fischerei), Störungen (Schifffahrt) und Änderung der Nahrungsverfügbarkeit Gründe dafür, dass in der Ostsee fast die Hälfte der betrachteten Arten und in der Nordsee über ein Drittel der betrachteten Arten in keinem guten Zustand sind. In Nord- und Ostsee befinden sich die Schweinswale, in der Ostsee auch die Kegelrobben und Seehunde in keinem guten Zustand, auch wenn insbesondere für die Robben Verbesserungen zu verzeichnen sind. Zusätzliche Ursachen zu den oben genannten sind hier z.B. durch Fischerei verursachte Beifänge, Unterwasserlärm, Eingriffe in das Nahrungsnetz und das Fehlen von Rückzugsräumen.

Die deutschen Nord- und Ostseegewässer sind einzigartige Ökosysteme, zugleich aber auch wichtige Wirtschaftsräume. Bestehende und zunehmende menschliche Aktivitäten in den Meeren, wie z.B. durch den großflächig geplanten, die Energiewende unterstützenden Offshore-Windparkausbau oder die mögliche Speicherung von Kohlendioxid im Meeresboden, bilden zusätzliche Herausforderungen für den Meeresschutz. Um den guten Zustand der Meere zu erreichen, d.h. die biologische Vielfalt der Nord- und Ostsee wiederherzustellen und zu bewahren und vielfältige und dynamische Meere zu haben, die sauber, gesund und produktiv sind, bedarf es fortgesetzter Anstrengungen und effektiver Maßnahmen und deren Umsetzung. Dies muss sowohl national als auch im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere über die regionalen Meeresschutzkonventionen OSPAR und HELCOM, und mit der EU erfolgen.

Die EU-Kommission hat Anfang Februar eine Bewertung der bisher beschlossenen Maßnahmen vorgelegt. Deutschland schneidet unter den EU-Mitgliedstaaten vergleichsweise gut ab, jedoch gibt es auch Kritik und weiteren Verbesserungsbedarf. Positiv hervorgehoben werden u.a. die vollständige Liste von Maßnahmen und die klaren Bezüge der Maßnahmen zu den Hauptbelastungen, den Umweltzielen und den Meeresökosystemkomponenten. Kritisiert wird u.a. die fehlende Einschätzung zum Zeitpunkt der Erreichung des guten Umweltzustands.

Alle 6 Jahre wird der Zustand der Meere in der EU neu bewertet und veröffentlicht. In der aktuellen Bewertungsrunde konnten große methodische Fortschritte erzielt werden, auch in Abstimmung mit den anderen an die Meere angrenzenden Staaten. Aufbauend auf den gewonnenen Informationen werden in den kommenden Jahren die Überwachungs- und die Maßnahmenprogramme überarbeitet. Im engen Zusammenhang mit der Umsetzung der MSRL stehen z.B. die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie, der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, der Vogelschutzrichtlinie, der Nitrat-Richtlinie und der neuen EU-Wiederherstellungs-Verordnung für Ökosysteme. Die Zusammenarbeit von Bund und Küstenländern im Meeresschutz - insbesondere bei der Umsetzung der MSRL - erfolgt im Rahmen der Bund/Länder Arbeitsgemeinschaft Nord- und Ostsee (BLANO). Die MSRL von 2008 zielt auf die Erreichung eines guten Zustands der Meeresumwelt; das Zieljahr 2020 wurde von den EU-Mitgliedsstaaten allerdings deutlich verfehlt.